G.G. Jung

Auf meiner Suche nach möglichen Erklärungen für jenes Ereignis, das ich auf der Eingangsseite seinem Wesen nach angedeutet habe und das mich ja derart beeindruckt hatte, stieß ich recht bald auf das Werk von C.G. Jung, der sich besonders fundiert mit der dort angedeuteten Fragestellung befasst hat, also mit der Frage nach dem geheimnisvollen Übergangsbereich zwischen der menschlichen Psyche und dem Transzendenten beziehungsweise wie es denn überhaupt vorstellbar sein soll, dass der Mensch mit dem Göttlichen in Verbindung stehen kann. C.G. Jung ist darüber zu dem Schluss gekommen, dass sich uns das Transzendente ja gar nicht anders als über die Psyche vermitteln kann, dass man sich also in jedem Fall erst einmal mit der menschlichen Psyche befassen muss, wenn man sich dem eigentlichen Wesen des Transzendenten nähern will.
Was mich an der Lehre Carl Gustav Jungs am meisten fasziniert, ist dass er davon ausgeht, dass die menschliche Psyche über eine Kraft verfügt, die schon von vornherein in ihrer Konzeption angelegt ist und deren Zweck es ist, das Bewusstsein zu einem Prozess der Weiterentwicklung und Reifung beziehungsweise der Heilung zu führen. Ich finde, das ist einfach ein großartiger Gedanke und vor allem ist es ein so überaus positiver Ansatz: eine helfende Kraft in der Psyche, die uns wohlwollend die Hand reicht. Welch eine wundervolle Botschaft, die Jungs da für uns hat!
Und nicht minder faszinierend ist, dass man das Wirken dieser Kraft ganz praktisch in vielen Bereichen des Lebens zu erkennen vermag – wenn man denn erst einmal sein Auge für dieses Wirken geschärft hat. Das finde ich eben das Überzeugende an der Lehre C.G. Jungs: sie ist keine abgehobene Theorie, sondern bezieht sich ganz praktisch auf die Realität und so wie man das Wirken dieser Kraft ganz konkret in der Realität beobachten kann, so vermag man die Erkenntnisse Jungs auch ganz praktisch in seinem Leben anzuwenden.

Der Schweizer Tiefenpsychologie Carl Gustav Jung hat zusammen mit Sigmund Freud bei der Entdeckung des Unbewussten zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Pionierarbeit geleistet. Jung war zunächst begeisterter Anhänger und Schüler Freuds, galt eine Zeit lang sogar als sein ‚Kronprinz’ aber er schlug dann einen eigenen Weg ein und brach mit seinem Lehrer.
Seit jener Zeit ist das Fachgebiet der Psychologie zu einer wahren Blüte gelangt und so findet sich heutzutage eine Vielzahl an unterschiedlichen psychologischen Denkansätzen aber es findet sich in dieser Vielfalt neben der noch immer richtungsweisenden Freudschen Schule eben auch die Jungsche Schule. In vielen größeren Städten bestehen heute C.G. Jung Institute, in denen seine Ideen von namhaften Psychologen zeitgemäß weiterentwickelt werden. Die Grundgedanken seiner Lehre sind ohnehin aktueller denn je.
Wie gesagt folgte C.G. Jung zu Beginn seiner Tätigkeit als Psychiater zunächst einmal den Vorstellungen Sigmund Freuds und beide waren sich in vielen Gesichtspunkten ihres gemeinsamen Forschungsfeldes einig. Vor allem gingen beide grundsätzlich davon aus, dass die Psyche über eine gewisse innere Dynamik verfügt, die eine ständige Entwicklung und Anpassung des Bewusstseins ermöglicht beziehungsweise erfordert. Allerdings legte Freud dabei den Fokus seiner Betrachtung eher auf die Anfälligkeit der Psyche für Störungen – eben die bekannte Palette von Verdrängung, Neurosen, Psychosen, Komplexen wie etwa dem bekannten Ödipus-Komplex und dergleichen – [wobei hier der Präzision halber anzumerken ist, dass der Begriff ‚Komplex’ von C.G. Jung in der psychologischen Wissenschaft eingeführt – also sozusagen erfunden – worden war], während C.G. Jung, der sicherlich ein kongenialer Psychiater und ein nicht minder ausgezeichneter Beobachter der menschlichen Psyche war, glaubte, in dieser das Wirken eines einzigartigen Mechanismus zu erkennen, der wie eine leitende Kraft wirkt und in der Lage ist, Schiefstände und Fehlentwicklungen der Psyche aus sich heraus auszugleichen beziehungsweise sogar zu heilen. Jung war also überzeugt davon, dass die menschliche Psyche über eine Art Selbstheilungskraft verfügt. Bei dieser Kraft handelt es sich allerdings um ein schlummerndes Potenzial, das erst aktiviert werden muss, bevor es seine Wirkung entfalten kann oder vielleicht passender: einen schlafenden Riesen, der in der Psyche eines jeden Menschen eingebettet ist, der aber erst erweckt werden muss. Diese Auffassung Jungs war denn auch einer der zentralen Gründe für den Bruch zwischen den beiden großen Tiefenpsychologen.

Der wichtigste Aspekt an C.G. Jungs Werk ist für mich allerdings seine Erkenntnis, dass das menschliche Bewusstsein vermag, sich über den Stand eines durchschnittlichen Erwachsenen in unserer Kultur hinaus zu entwickeln, also dass die von der Natur angelegte, offensichtliche Entwicklung des Bewusstseins eines Menschen vom Säugling über das Kleinkind und den Jugendlichen bis hin zum Erwachsenen eben nicht bei dem endet, was wir gewöhnlich unter Erwachsensein verstehen, sondern dass sich das menschliche Bewusstsein weit über das Niveau eines normalen Erwachsenen hinaus zu entwickeln vermag. Meist vollzieht sich eine solche Bewusstseinserweiterung in der Mitte des Lebens und wird angestoßen durch eine schwere Lebenskrise, die das Bewusstsein endlich aus dem Dämmerzustand aufschreckt, in den es in dieser Lebensphase für gewöhnlich versackt ist, die das Bewusstsein dadurch aber auch zutiefst erschüttert und letztlich alles bislang als sicher Geglaubte infrage stellt. In der Regel vollzieht sich diese Krise in einem recht dramatischen Geschehen, eben jener legendären ‚Krise in der Mitte des Lebens’. Wenn es Menschen widerfährt, dass sie von diesem Ereignis betroffen werden, dann fordert das Leben sie auf, sich einer ganz besonderen Aufgabe zu stellen. Und es handelt sich dabei letztlich um eben jenen mahnenden Ruf des Schicksals, von nun an einen ganz bestimmten Weg zu beschreiten.
Denn eine solche Weiterentwicklung des Bewusstseins ist tatsächlich so etwas wie ein Weg voller Abenteuer und Wagnisse, der sich meist in der Lebensmitte eröffnet und der für diejenigen und eigentlich nur für diejenigen, die es wagen, ihn zu beschreiten, die Möglichkeit vorbehält, sich über den Stand eines gewöhnlichen Erwachsenen hinaus zu entwickeln. Und dieser Weg ist ein äußerst mühsamer, denn der Prozess, der dabei abläuft, erfordert harte Arbeit an sich selbst, man wird nicht einfach, nur weil man sich selbst für berufen und für so besonders hält, in eine andere Dimension des Bewusstseins erhoben.
Und wie Jung festgestellt hat, hatten die Menschen schon in frühesten Zeiten eine Ahnung von diesem Prozess und Menschen, die diesen erfolgreich gemeistert haben, wurden schon immer als Weise oder Erleuchtete angesehen – oder wie sonst solche ganz besonderen Menschen schon immer genannt wurden –, man könnte im Anklang an einige spirituelle Traditionen wohl auch sagen, dass es sich bei den Menschen, die sich auf diesen Weg begeben, um eben jene geheimnisvollen ‚Meister des Lebens’ handelt.

Für Kenner der Materie sei angemerkt, dass es sich bei diesem Prozess im Grunde um den gleichen Vorgang im menschlichen Bewusstsein handelt, den ja unsere Mythen und Märchen symbolhaft im Entwicklungsschema der ‚Reise des Helden’ beschreiben und gleichzeitig um eben den Prozess, der doch das eigentliche Geheimnis ist, um das herum letztlich alle Mysterienschulen und Weisheitslehren entstanden sind, ja der wohl nichts Geringeres als das große Geheimnis des Lebens überhaupt ist.
Ich habe mich mit der Vorstellung einer möglichen Weiterentwicklung des Bewusstseins, so wie C.G. Jung sie verstanden hat, ausgiebig befasst und die meisten Beiträge auf dieser Website drehen sich irgendwo um eben diese Vorstellung, also um die Frage, was es mit jenem sagenumwobenen Vorgang auf sich hat. Und letztlich ist auch das Buch, das ich geschrieben habe, eine tiefreichende Auseinandersetzung mit diesem Thema, insbesondere mit der Frage, wie man diesen schwierigen Prozess einigermaßen zu meistern vermag, also wie man denn zu einem solchen ‚Meister des Lebens’ wird.
Ob ich nun ein solcher ‚Meister des Lebens’ bin? Wenn ich nach meiner eingehenden Auseinandersetzung mit diesem Thema eines ganz sicher sagen kann, dann ist es, dass wenn sich jemand selbst als ein ‚Meister des Lebens’, ‚Erleuchteter’ oder ‚Auserwählter’ bezeichnet, man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass er es nicht ist. Also nein, ich will und kann in keinem Fall von mir sagen, dass ich ein ‚Meister des Lebens’ wäre. Aber es ist natürlich schon so, dass ich davon überzeugt bin, dass sich über diesen Prozess – und eigentlich nur über diesen Prozess – ein höherer Sinn menschlichen Lebens zu vermitteln vermag und ich selbst bin natürlich bemüht, diesen Weg zu beschreiten. Doch vermag ich tatsächlich nicht zu sagen, wie weit ich denn auf diesem Weg gelangt bin.

Und es handelt sich bei diesem Prozess natürlich um jenen Vorgang im menschlichen Bewusstsein, den C.G. Jung als ‚Individuationsprozess’ bezeichnet hat. So wie denn überhaupt die meisten meiner Beiträge auf diesen Seiten von den Vorstellungen C.G. Jungs inspiriert sind.

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