Tja, warum muss ich wohl in letzter Zeit immer öfter an jene Begebenheit denken? Mein Leben war jedenfalls dadurch geprägt, dass die Frauen, die darin an meiner Seite waren, stets eher eine Belastung für mich waren. Ich musste meine Frauen immer mit durchs Leben schleppen, ihre Launen und ihre Negativität auffangen, bin letztlich kinderlos geblieben. Und ich sehe heute auch, dass besonders meine Ehefrau so vieles von meinen Energien verschlang und mich doch ganz erheblich einbremste, so dass ich die eine oder andere Perspektive, die sich mir in meinem Leben bot, nicht hatte ergreifen können.
So frage ich mich heute natürlich, wie wohl mein Leben verlaufen wäre, wenn ich ‚die richtige Frau’ an meiner Seite gehabt hätte, eine Frau die mich beflügelt und inspiriert hätte, statt mich herunterzuziehen und zu behindern. Wie wäre wohl mein Leben verlaufen, wenn ich mich nicht an einem – zugegebenermaßen furchtbar – schiefstehenden Schneidezahn gestört hätte? Was hätte sich in meinem Leben ergeben können, wenn ich eine Frau an meiner Seite gehabt hätte, die mir tatsächlich aufrichtige Liebe entgegenbringt und mich damit möglicherweise rechtzeitig von den in meiner Kindheit erlittenen Schäden geheilt und mich aus meiner unseligen Gefangenschaft in einer falschen Vorstellungswelt erlöst hätte. Einem Team, das Hand in Hand arbeitet, steht die Welt sicherlich ein bisschen weiter offen, als einem Einzelkämpfer, dem eine Eisenkugel ans Bein gekettet ist.

Wobei sich aus einer philosophischen Betrachtungsweise darüber hinaus die Frage stellt, ob es tatsächlich sein kann, dass das Leben so grausam ist, einen solchen einzigen Fehler – und es war ganz sicherlich ein gewaltiger und dummer Fehler, den ich damals begangen hatte –, der sich an einer lächerlichen Kleinigkeiten festmacht, so gnadenlos abzustrafen und einen Menschen ein Leben lang dafür büßen zu lassen. In einem seelenlosen Universum, das nur aus einer Zufälligkeit heraus entstanden ist, in dem also auch nichts als der reine Zufall regiert, mag dies tatsächlich geschehen, doch wenn die Fügungen in unserem Leben eben nicht solche sinnfreien Zufälle sind, sondern eine gutmeinende höhere Intelligenz in diesen Zufällen waltet, sollte man doch eher annehmen, dass man im Leben, wenn man denn einen solchen kindischen Fehler begeht, eine zweite Chance erhält. Jedenfalls muss ich heute für mein Leben feststellen, dass ich keine zweite solche Chance erhalten habe, doch ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass hinter dem Walten des Schicksals ein höherer Sinn steckt und dass es mir möglicherweise bestimmt war, eben dieses Leben zu führen, das ich geführt habe, auch wenn dieser Umstand mich derzeit fast verzweifeln lässt.
Doch so lange ich lebe, lebt auch die Hoffnung und es ist nun an der Zeit, zu versichern, dass jene Begebenheit keine erfundene Geschichte für dieses Essay ist, sondern sich in München Grünwald im Sommer 1983 tatsächlich so ereignet hat.
Natürlich weiß ich noch die Namen meiner damaligen beiden Favoritinnen und natürlich könnte ich ohne größeren Rechercheaufwand wieder Kontakt zu ihnen aufnehmen, aber das zu tun, entspricht nicht mehr meinem heutigen Verständnis dieser Welt, daher habe ich es auch vermieden, in dieser Geschichte ihre Namen zu verwenden – wobei ich zu meiner großen Schande auch noch gestehen muss, dass der Name jenes Mädchen mit dem schiefstehenden Zahn über die vielen Jahre hin in meinem Gedächtnis versandet ist, da ich die Geschichte ja eigentlich fast schon vergessen hatte und sie in meiner Erinnerung erst seit wenigen Jahren wieder deutlicher Gestalt annimmt. Und es ist mir heute auch überaus peinlich, dass ich mich damals so dämlich verhalten habe, so dass ich auch deshalb nicht den Versuch unternehmen möchte, nach vergebenen Gelegenheiten zu forschen, weil ich außerdem befürchte, dass ich das alles in meiner Erinnerung vielleicht etwas zu sehr beschönige und sie sich an mich gar nicht mehr erinnert – und all das ist eben peinlich genug. Aber es ist schon so, dass es mich einfach interessieren würde, was heute aus diesem Mädchen geworden ist, was sie aus ihrem Leben gemacht hat, was für ein Mensch sie heute ist, ob sie eine Familie hat und ob sie sich zu einem Menschen entwickelt hat, der mir in meinem Leben besser getan hätte als die Frauen, die in meinem Leben dann tatsächlich an meiner Seite gestanden haben.
Ich glaube jedenfalls fest an die Fügungen des Schicksals und lege heute mein Geschick vertrauensvoll in die Hände einer höheren Macht. Und vielleicht liest ja in nächster Zeit irgendjemand diese Geschichte, der zu jener Zeit auf dem Gymnasium in Grünwald die Abschlussklasse besucht hat, zusammen mit der Tochter eines Staatssekretärs der bayerischen Landesregierung, der Tochter eines namhaften Unternehmers und eben zusammen mit einem Mädchen, das damals einen extrem schiefstehenden Schneidezahn hatte …

[Die Fotos in den Beiträgen stehen nicht in einem Zusammenhang mit den Inhalten, sie sind zur Auflockerung des Textes gedacht und stammen aus meinem privaten Fotoarchiv. Eine Ausnahme stellen die Fotos von München in diesem Essay dar, diese stammen aus meiner Zeit im München der achtziger Jahre]

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