In Gottes Hand

Ich bin ein Mensch, der die schönen Dinge liebt und dem es materiell und gesundheitlich immer recht gut gegangen ist, und man kann daher wohl schon sagen, daß ich in dieser bürgerlichen Gesellschaft ein ziemlich privilegiertes Leben geführt habe. Und obwohl mir in diesem Leben viel geglückt war, hatte mir immer etwas wichtiges gefehlt. Ich hatte immer nach der wahren Liebe gesucht und gerade die hatte ich nie gefunden, auch nicht in meiner 15jährigen Ehe. Erst in der zweiten Lebenshälfte, nach einer üblen Scheidung inklusive eines damit verbundenen finanziellen Desasters, hatte ich endlich eine Frau kennengelernt, die für mich etwas ganz besonderes war und für die ich etwas empfinden konnte, von dem ich spürte, daß es wirkliche Liebe war. Ja unsere ganze Begegnung war eine Art von Offenbarung für mich. Bettina war so eine Art Engel auf Erden, du bist vielleicht auch schon einmal einem solchen Menschen begegnet; ich meine Menschen, die eine ganz besondere Ausstrahlung haben und die immer selbstlos und gütig und für andere da sind und die auf andere Menschen so wohltuend wirken wie die flutenden Strahlen der Sonne. Aber Bettina stand, wie es bei diesen Menschen eben dann oft der Fall ist, so ziemlich neben sich, weil sie sich immer nur um andere sorgte und zu wenig darum, was ihr selbst gut tat. Es ging ihr auch gesundheitlich nicht gut, sie hatte etliche Malheure, wohl auch weil sie sich zu sehr für andere Menschen verausgabt hatte.
Ich hatte mich jedenfalls unsterblich in diesen Engel verliebt und sie sich auch in mich. Es war ein unglaubliches Gefühl für mich, gerade die Liebe eines solchen, besonderen Menschen gewonnen zu haben. Damals fühlte ich tatsächlich zum ersten mal in meinem Leben, was wahre Liebe ist und mich verband eine tiefe Gemeinsamkeit mit dieser Frau, ja es hatte die Qualität einer Seelenpartnerschaft. Aber sie war in dieser Zeit eben nicht wirklich bei sich und sie fühlte sich einer Beziehung mit einer derartigen Seelennähe nicht gewachsen! Das Ganze ging über ihre Kräfte und sie wollte daher, obwohl sie selbst völlig verzweifelt darüber war, den Kontakt zu mir abbrechen.

Ich empfand das als niederschmetternden Schicksalsschlag und eine grausame Fügung, daß wir auf solch seltsame Weise auseinandergerissen werden sollten, uns lieben und doch nicht zusammen sein. Und so kam ich in meiner tiefen Verzweiflung darauf, mich an das göttliche Licht um Beistand in meiner Not zu wenden. Ich wollte darum bitten, mir wenigstens eine kurze Zeit mit Bettina zu gewähren und aus meinem Verständnis von Spiritualität heraus war es für mich selbstverständlich, daß man um eine solche Gunst nicht einfach nur bittet, sondern daß man dafür auch etwas von sich daran gibt, um einen Ausgleich zu schaffen. Ich wußte auch, ich konnte nicht um alles bitten, denn wir können nicht in einem maßlosen Anspruchsdenken immer nur fordern und fordern.  Auf wie viele Jahre glückliches Leben darf man hoffen?  Wie viele glückliche Jahre sind genug? — Ich glaube, ein paar wenige und erfüllte Jahre sind besser als ein langes Leben in zielloser seelischer Ruhelosigkeit. Streng genommen müßte man mit ein oder zwei wirklich erfüllten Jahren schon zufrieden sein.

Stell Dir einmal vor, Du lernst einen Mann beziehungsweise eine Frau kennen und lieben und es ist die wahre Liebe. Das heißt, es ist ein Mensch, dessen Wohlergehen Dir wichtiger ist als Dein eigenes Leben, — denn wenn man nicht so empfindet, könnte man das dann wohl wahre Liebe nennen? Ein solches Gefühl gibt es jedenfalls wirklich, ich habe schon so empfunden, ich durfte diese Erfahrung machen. Und ich weiß, daß auch Du eine Vorstellung von so einem Menschen und von solch einem Gefühl in Dir trägst, denn es ist eine Eigenschaft, eine Fähigkeit, die der menschlichen Seele immanent ist, Du mußt diese Vorstellung nur in Dir erspüren und erwecken, sie zulassen. Also stell Dir nun einmal diesen Menschen vor, den Du bedingungslos lieben kannst und stell Dir vor, das Schicksal trennt euch und Du könntest mit dem Schicksal und dem göttlichen Licht einen Handel vereinbaren. Du würdest ein oder zwei Jahre mit diesem Menschen in Liebe verbringen können, was wärst Du bereit, daran zu geben, was wärst Du bereit, dafür zu opfern? Wenn Du Dir das vorstellen kannst, dann kannst Du ermessen (erahnen), was mich damals bewegte.

Ich begab mich damals an einen heiligen Ort, das, was man einen Seelenort nennt. Ich wußte zu diesem Zeitpunkt für mich ganz genau, daß ein Leben ohne Liebe nichts wert ist. Gleichzeitig war ich mir vollkommen sicher, daß es für die Seele ein Weiterleben nach dem Tode gibt und so fiel es mir tatsächlich leicht, von diesem sinnentleerten Leben loszulassen und den Göttern aus reinem Herzen und mit aller Konsequenz mein Leben im Tausch gegen ein oder zwei gemeinsame Jahre mit der von mir geliebten Frau anzubieten und ich habe das an diesem heiligen Ort mit einem heiligen Gelübde auch getan:
„Ich bitte euch, gebt mit nur ein oder zwei Jahre mit Bettina. Für diese unendliche Gnade bin ich bereit mein restliches Leben zu opfern, bitte nehmt es, wenn es an der Zeit ist.“
Und das war mein voller Ernst. Denn ich war damals wirklich vollkommen verzweifelt, meinem Leben war der Sinn abhanden gekommen. Aber ich war auch ein wenig stolz auf mich, denn ich hatte mich ja nun so weit gewandelt, daß ich fähig war, die Liebe über mein Leben zu stellen und wie viele andere Menschen vermochten es wohl, eine solch wahrhaft menschliche Haltung zu entfalten?
Aber ich bekam von der Macht, die ich soeben angerufen hatte, umgehend zu spüren, wie erbärmlich dieses Bild war, das ich da von mir selbst hatte.

Es war eine ganz besondere Lebenssituation, in der ich damals war und es war schon ein ganz besonderer Ort, der Seelenort an dem ich stand und meine Seele war unter jenen Umständen dem göttlichen Licht wohl besonders nahe. Und so erhob sich nun nachdrücklich meine innere Stimme und begann, meinem Bewußtsein die Augen zu öffnen. Sie führte mir den Menschen Bettina vor Augen und gemahnte mich daran, wie schlecht es um ihre Gesundheit stand. Sie tat mir unendlich leid. Es hatte mich immer zutiefst berührt, mit welcher Stärke und Würde sie ihr Schicksal trug. Und es war damals auch eine Zeit, in der ich stark bemüht war, an mir selbst zu arbeiten und mich zu hinterfragen, ich rang damals um Selbsterkenntnis. Und über das Mitgefühl für Bettina erkannte ich tatsächlich etwas von mir Selbst. Und das, was ich erkannte, war sehr bitter, denn in diesem Augenblick wußte ich mit unnachgiebiger Klarheit, daß ich gemogelt hatte. Ich erkannte, daß mein Leben gar nicht mein höchstes Gut war, sondern daß mir mein materielles und leibliches Wohlergehen und mein gesundheitliches Wohlbefinden tatsächlich wichtiger waren. Ich hätte tatsächlich wegen meines felsenfesten Glaubens an Wiedergeburt oder ein Weiterleben nach dem Tod leichten Herzens sterben können, aber mit einer Krankheit oder Behinderung zu leben, das hätte ich nicht wirklich mit Gelassenheit aushalten können. Und ich mußte in diesem Augenblick erkennen, daß ich es nicht über mich bringen konnte, den Göttern meine Gesundheit oder mein Wohlergehen im Tausch gegen meine große Liebe anzubieten, weil mir die nämlich in Wahrheit wichtiger waren, meine Wohlbefindlichkeit war eigentlich mein höchstes Gut. Und ich erkannte, daß ich nicht fähig war, dieses höchste Gut für die Liebe darzubieten. Ich verließ den heiligen Ort ohne das entsprechende Gelübde und ich mußte mir bitter eingestehen, daß ich nicht in der Lage war, wirklich vorbehaltlos zu lieben, ich hatte soeben nur meiner eitlen Selbstgefälligkeit ins Auge geblickt, ich war zutiefst beschämt.

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