Sie haben doch sicherlich ein Auto?
   „Ja, natürlich.“
   „Wo haben Sie es gerade stehen?“
   „Ich habe es dort drüben an der Straße geparkt.“
   „Und sind sie sich sicher, dass es in diesem Augenblick noch dort steht?“
   „Wenn es keiner geklaut hat, die Polizei es nicht abgeschleppt hat oder meine Frau nicht vorbeigekommen und damit weggefahren ist oder sonst etwas Derartiges passiert ist, dann steht es auf jeden Fall noch dort.“
   „Nun, es geht mir um ein Gedankenexperiment. All die von Ihnen genannten Fälle wollen wir dazu einmal ausschließen. Also: sie haben ihr Auto abgestellt und kein Mensch hat es von seinem Platz entfernt. Können Sie sich nun vorstellen, dass es sich in diesem Augenblick nicht mehr dort befindet, sondern ganz real, sagen wir, etliche Straßen weiter steht?“
   „Ha ha ha. Wir wollen hier doch bitte auf dem Boden von Vernunft und Verstand diskutieren. Sie sprechen etwas an, das es nur in den Fantasiewelten von Geschichten und Filmen gibt. Aber wir setzen uns hier in dieser Runde ja ernsthaft über die Realität auseinander. Und der unschätzbare Wert der Naturwissenschaften liegt nun einmal darin, dass es so etwas gibt, wie Physik und wissenschaftliche Messverfahren, mit denen sich solche Dinge objektiv überprüfen lassen. Die Naturwissenschaften geben mir die absolute Sicherheit, dass sich mein Auto dort drüben an der Straße befindet – jedenfalls wenn es kein Mensch von dort entfernt hat und die Handbremse noch funktioniert, so dass es nicht davon gerollt ist. Dafür gibt es Naturgesetze, die der wissenschaftlichen Beweisbarkeit unterliegen und Messverfahren, welche diese objektiv belegen. Mein Auto ist ein nachweisliches Objekt der Realität und besteht aus einer gewaltigen Masse an Teilchen, die man Atome nennt. Und das ist ja wohl etwas, was sie hoffentlich nicht in Zweifel ziehen wollen. Es sind dies alles Gegebenheiten der Realität, die man mit naturwissenschaftlichen Verfahren nachweisen kann. Und das ist doch einfach wunderbar! Es erstaunt mich immer wieder, dass es so viele unsäglich einfältige Menschen gibt, die das einfach nicht kapieren wollen. Und was Sie da andeuten wollen, ist einfach nur paradox!“
   „Da stimme ich ihnen vollkommen zu. Was sie soeben ausgeführt haben, gilt tatsächlich für all die Bereiche dieser Welt, in denen die klassische Physik Gültigkeit hat.“
   „Ja, und die Physik gilt eben im gesamten Universum, das ist ja das Schöne an ihr.“
   „Äeeehm, das ist jetzt so nicht ganz richtig, denn die klassische Physik vermag nicht, die Vorgänge auf der atomaren und subatomaren Ebene eben dieses Universums zu erklären.“
   „Also ich bezweifle, dass man das so sagen kann.“
   „Ich kann Ihnen versichern, dass sie das in allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen über Quantenmechanik genau so lesen können, wie ich das hier sage, aber dazu muss man sich eben mit der Thematik beschäftigen.“
   „Gut, aber hat das denn irgendeine Bedeutung?“
   „Nun, es ist zum Beispiel so, dass sie vollkommen Recht haben, ihr Auto kann sich nach den Gesetzen der klassischen Physik tatsächlich nur an einem bestimmten Ort befinden. Doch für die Teilchen auf der atomaren und subatomaren Ebene, aus denen ihr Auto wiederum besteht, gilt dies eben nicht. So kann man für ein Elektron in seinem gewöhnlichen Zustand zum Beispiel eben nicht sagen, dass es sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befindet. Die Aussagen der Forscher des wissenschaftlichen Fachgebiets der Quantenmechanik, die ja alle experimentell belegt sind, besagen, dass sich das Elektron nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Ort aufhält. Auf ihr Auto übertragen würde das bedeuten, dass sie, wenn sie ihr Auto abstellen, aussteigen, es abschließen und sich umwenden, um irgendwo hinzugehen, sie sich eben nicht sicher sein können dass es hinter ihnen noch an seinem Platz steht; es könnte sich in diesem Augenblick auch ganz woanders befinden.“
„Ha! Das ist doch genau dieser Blödsinn, den ich meine. Die Naturwissenschaften geben mir eben gerade die Gewissheit, dass mein Auto noch da ist, auch wenn ich mich nicht nach ihm umwende.“
   „Da empfinden sie immerhin genau wie Albert Einstein, nur dass er sich auf dem Mond bezog, als er die berühmte polemische Frage stellte: ‚Glauben Sie wirklich, dass der Mond nicht da ist, wenn keiner hinsieht?’“
   „Sehen sie!“
   „Ich wollte ihnen auch nur gerne zugestehen, dass sie sich da tatsächlich in bester Gesellschaft befinden. Einstein konnte tatsächlich die weltanschaulichen Konsequenzen der Quantenmechanik nie akzeptieren. Doch heute gibt es kaum noch einen Wissenschaftler, der die Erkenntnisse der Quantenmechanik ernstlich anzweifelt, weil ihre wesentlichen Aussagen alle experimentell bewiesen sind, ich meine damit natürlich Experimente nach streng naturwissenschaftlichen Kriterien. Und das sollte man eben auch wissen.
Der Kniff dabei ist, dass man die Leistung der geistigen Abstraktion vollbringen muss, zu verstehen, dass die Verhältnisse in der Welt des Makrokosmos, also der Welt, die wir mit der klassischen Physik definieren können und die Welt des Subatomaren völlig verschieden sind und dass für beide jeweils vollkommen unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten Gültigkeit haben.

Das heißt für den Teil dieser Welt, den wir ganz praktisch wahrnehmen, gelten die klassischen Gesetze der Physik, doch für den Bereich der Elementarteilchen, also die Atome, aus denen ihr Auto besteht, gelten diese Gesetze nicht, hier herrschen ganz andere Gesetzmäßigkeiten. Wir beherrschen diese Welt mithilfe der exakten Naturwissenschaften, doch alles steht sozusagen auf dem wackeligen Boden der Quantenmechanik, die eben auf Wahrscheinlichkeiten beruht und somit, um es etwas zugespitzt auszudrücken, steht letztlich alles auf dem Boden von Zufälligkeiten.

Doch auch dieser subatomare Bereich ist eben Teil dieses Universums, das heißt unsere Realität wird auch von den Vorgängen bestimmt, die durch die Quantenmechanik beschrieben werden und die unserem Verstand  paradox vorkommen, das heißt das Paradoxe ist eben Teil der Wirklichkeit. Und wenn sie die Realität dieses Universums ausschließlich aus der Sicht der klassischen Physik zu verstehen versuchen, dann beurteilen sie dies aus der Sichtweise eines beschränkten Modells.“
   „Also, was wollen sie mir denn jetzt sagen? Die Physik ein beschränktes Modell! Wollen sie den Wert meines Verstandes oder gar den Wert der Naturwissenschaften verneinen? Ich bin gebildet und gut informiert. Das, was sie da erzählen, hat nichts mit einer modernen naturwissenschaftlichen Sicht der Welt zu tun.“
   „Tja, da irren sie sich leider gewaltig. Ich fürchte, es macht von diesem Zeitpunkt an keinen Sinn mehr, dass wir uns weiter unterhalten, denn ich muss Ihnen sagen, dass sie, obwohl sie aus der Sichtweise der Naturwissenschaften argumentieren, nicht auf deren aktuellem Stand sind. Alles, was ich hier angeführt habe, können Sie  in seriösen wissenschaftlichen Quellen nachlesen. Offensichtlich sind sie, was den Stand der modernen Physik betrifft, zu wenig informiert. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, kann ich die Diskussion mit Ihnen leider nicht fortsetzen. Es macht einfach keinen Sinn, es ist ungefähr so, wie wenn man versucht, mit jemandem, der der festen Überzeugung ist, die Erde sei eine Scheibe, über die Auswirkungen der Globalisierung zu diskutieren. Es geht einfach nicht.“
   „Das wirkt aber jetzt schon ziemlich arrogant von ihnen.“
   „Entschuldigung, es war nicht meine Absicht, mich ihnen gegenüber herablassend zu geben. Ich habe nur versucht, hier sachlich auf der Grundlage eines Verstandesdenkens zu argumentieren und mich dabei auf den aktuellen Wissensstand der Naturwissenschaften bezogen.“
   „Nur, die Behauptungen, die sie hier in den Raum gestellt haben, kommen mir doch sehr unglaubwürdig vor und ich finde es ärgerlich, wenn ich so etwas höre. Die Physik ein begrenztes Modell! Das Paradoxe als ein Prinzip dieser Welt! Also so was! Ich werde mich auf jeden Fall einmal mit dieser Quantenmechanik befassen, weil ich mir sicher bin, dass sie da einiges nicht richtig verstanden haben!“
   „Ich kann Ihnen garantieren, dass sie erkennen werden müssen, dass meine Ausführungen sehr präzise waren. Sicherlich werden wir uns, wenn sie sich auf einen aktuellen Stand gebracht haben, auf der Ebene eines gemeinsamen Wissensstandes irgendwann einmal sinnvoll auseinandersetzen können. Das gleiche gilt übrigens auch für das, was man Menschenkenntnis nennt, also das Verständnis der Persönlichkeitsstrukturen und der Verhaltensweisen von Menschen. Auch darüber kann man sich nicht austauschen, ohne ein bestimmtes Grundwissen über die Funktionsweise, nach denen sich diese vollziehen, zu haben, also ohne auf einem aktuellen Stand der Erkenntnisse der Psychologie zu sein.“
   „Was hat denn das mit Quantenmechanik zu tun?“
   „Oh, eigentlich nichts. Das ist nur eines meiner Lieblingsthemen, das mir aus einem bestimmten Grund gerade in den Sinn gekommen war, entschuldigen Sie bitte. Vergessen Sie es.“
[Diese Anspielung bezieht sich auf ein bestimmtes Kapitel im Buch]

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