Ich beschloss also zu dieser Stunde, die Möglichkeit, dass es tatsächlich so etwas wie eine spirituelle Welt geben könnte und dass ich eine wie auch immer geartete mediale Begabung haben könnte, erst einmal zu akzeptieren.

Ich konzipierte diesen Entschluss in meinem Bewusstsein so, dass ich unter Wahrung eines hinreichenden Maßes an Vernunft dies erst einmal als eine These setzen würde, um über die nächste Zeit hin kritisch zu beobachten, wie sich diese These in den Anforderungen und Wendungen des praktischen Lebens bewähren mochte.
Da ich ja eingangs versichert hatte, dass ich versuchen würde, diese Geschichte so exakt und so objektiv wie möglich zu schildern, muss ich an dieser Stelle ein kleines Geständnis ablegen. Ich muss hier einräumen, dass ich mich auch ein bisschen der gefälligen und schmeichelnden Verlockung hingab, welche die Vorstellung, ich könnte eine Gabe haben, die mich zu etwas Besonderem machen würde, auf mich ausübte. Ich bin, wie ich das ja auch eingangs ausgeführt habe, kein Mensch der über ein besonderes Charisma verfügt. Die Aussicht, die sich hier eröffnete, eine besondere Gabe zu besitzen, war doch zu verführerisch und trug – ich gestehe – wohl auch ihren Teil dazu bei, dass ich beschloss, über die mir zugesprochenen Fähigkeiten wohlwollend nachzudenken. Ich bestätigte Frau A also diese Bereitschaft und versprach, die Botschaften, die ich eventuell erhalten würde, pflichtbewusst aufzuschreiben. Als ich aufbrach, fühlte ich mich immerhin sehr gelöst und ausgeglichen.
Zurück zuhause gelang es mir, mit meiner Frau eine einvernehmliche, nette Unterhaltung zu führen und bekam am Ende des Abends von ihr zu hören – ich bemerkte dabei, dass sie verwundert angetan war:
„Was hat die A denn wieder mit dir angestellt? Du bist so angenehm verändert!“
Da erst wurde mir bewusst, dass die wohltuende Veränderung, die mich nach diesen Sitzungen bisher immer irgendwie zugänglicher und offener gemacht hatte, sich heute wohl stärker eingestellt hatte als sonst. Das mochte wohl darauf zurückzuführen sein, dass ich Frau A diese Stunde lang ganz alleine gegenübergesessen hatte. Und ein bisschen hatte mich natürlich auch die Vorstellung von meinen potentiellen medialen Fähigkeiten beflügelt, so dass ich mich nun so recht beschwingt fühlte. Ich verwies – erfreut, auf meine Frau so zu wirken – auf den Einfluss der spirituellen Ansprache durch Frau A. Und aus meiner fast schon überschwänglichen Stimmung heraus fand ich auch noch eine passende Metapher für die Geschehnisse der jüngsten Zeit:
„Sie schärft wohl irgendwie meine Antennen für neue Bereiche.“
Da meine Frau von Esoterik absolut nichts hielt, murmelte sie ein mürrisches
„Mmm.“
Ich stellte erfreut fest, dass mir ihr Missmut heute nicht, wie sonst eigentlich üblich, die gute Laune für den Abend verdarb.

In dieser Nacht begannen die unglaublichen Ereignisse.

Traumbild

Es begann mit der Phase des Einschlafens, jenem Übergang in den Schlafzustand während dessen die Kontrolle des Verstandes durch andere Bewusstseinsfunktionen abgelöst wird – ein Vorgang, dessen allerletztes Geheimnis auch für die aktuelle Schlafforschung eines der noch ungelösten Rätsel ist. Ich nahm in diesem Übergangszustand zunächst grüne Wellen wahr, die mir wie eine ausgesprochen reale Erscheinung vorkamen. Es handelte sich um eine Art energetischer Wellen, die offenbar versuchten sich zu Personen zu formen. Ich wusste irgendwie sofort, – woher auch immer, ich hatte einfach die Gewissheit, dass es so war – dass es sich hier um spirituelle Wesen handelte. Außerdem sah ich durch diese Wellen hindurch etliche Lichter flackern. Mein Wachbewusstsein war noch nicht ganz heruntergefahren, so dass ich in dieser Phase des Einschlafens noch über die Möglichkeit der kritischen Reflexion des Beobachteten verfügte. Möglicherweise war es auch ein sogenannter luzider Traum – das ist eine bestimmte Art von Träumen, bei denen man die Handlungsabläufe bis zu einem gewissen Grad mit seinem Bewusstsein steuern kann. Ich nahm jedenfalls alle Vorgänge recht bewusst wahr und was ich da so sah, erfüllte mich mit zunehmend mit Unmut. Ich dachte:
„Puh, wie abgeschmackt! Zuerst esoterische Energiewellen und dann auch noch diese abgedroschenen Lebenslichter! Oh Hilfe! Alles, nur das nicht!“
Es schien sich tatsächlich um einen solchen luziden Traum zu handeln, denn ich bemerkte, dass ich offenbar die Kontrolle über das Geschehen hatte und so versuchte ich, teils spaßeshalber, teils doch fasziniert von diesem Erlebnis, die Personen in diesen Energiewellen geistig zu fassen, doch die wichen mir aus wie Fische, die eben noch im Wasser vor sich dahindümpelten, doch flugs auseinanderstoben, sobald man die Hände nach ihnen ausstreckte und sie zu greifen versuchte. Und von irgendwoher war mir auch vollkommen bewusst, dass ich mit derartigen Phänomenen ja gar nicht richtig umgehen konnte, ich hatte schließlich keinerlei Erfahrung mit esoterischen Energiewellen.
Ich war nur vollkommen fasziniert von der plastischen Realität dieser Szene und davon, dass ich dies alles so bewusst erlebte. Da ich mit meinem Traum gerade wie mit einer realen Lebenssituation umzugehen vermochte, kam mir die Idee, doch einmal zu sehen, ob ich dieser abgeschmackten Traummaschinerie nicht irgendwie auf die Schliche kommen könnte. Ich würde meine aufgeklärte Geisteshaltung nicht so leicht aufgeben und beabsichtigte, mit den Kräften meiner Vernunft dem Aufkommen dieser spirituellen Ebene ein zähes Rückzugsgefecht zu liefern.
So fragte ich mich zunächst ganz nüchtern, ob dieses Szenario denn mit dieser medialen Begabung zu tun haben könnte, die Frau A mir da angehängt hatte und es sich hier möglicherweise um eine spirituelle Wahrnehmung handelte? Ich ordnete dem ganz nüchtern eine hohe Wahrscheinlichkeit zu und beschloss, dies einfach einmal so anzunehmen. Und mein Bewusstsein war dabei immer noch so gegenwärtig, dass ich dabei eine listige Absicht im Schilde führen konnte. Ich wollte mir diese komischen spirituellen Wahrnehmungen einmal so recht zur Brust nehmen und sehen, inwieweit sie der Analyse aufgeklärter Vernunft standhalten würden.

Die streitbare Frau mit dem Spaten hatte mich doch irgendwie in ihren Bann gezogen und dies erweckte in mir die Unternehmungslust. Also versuchte ich, mich auf den vor einigen Tagen erlebten Traum einzustellen und diese faszinierende Szene aus meiner Erinnerung abzurufen.
Die erschien prompt vor meinen Augen! Ich blickte auf die bekannte Szenerie. Sie war immer noch eingefroren, geradeso wie der Traum geendet hatte – ein Standbild. Allerdings zeigte sich mir nun alles aus einem anderen Blickwinkel.
Ich befand mich jetzt an der Stelle, von der aus die beiden älteren Geisterfrauen in Erscheinung getreten waren und blickte aus etwa zehn Metern Distanz auf die vertraute Gruppierung. In dem Augenblick, da ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, zoomte die erstarrte Szenerie in einem rasanten Tempo auf mich zu und stoppte unmittelbar vor mir ab, so dass ich sie fast zu greifen vermochte und die beiden kontrahierenden Frauen nun eingehend und aus nächster Nähe betrachten konnte.
Der älteren Geisterfrau stand jedenfalls deutlich der Schrecken im erstarrten Gesicht. Aber ich wendete mich sogleich dem Objekt meiner Begierde zu, das ich nun ausgiebig in Augenschein nehmen konnte. Es war jetzt klar erkennbar, dass die Spaten-Frau doch keinen Spaten, sondern eine Lanze führte. Ich konnte allerdings rein aus der Anschauung nicht beurteilen, ob es sich dabei um einen rituellen Gegenstand oder eine echte Waffe mit gehärteter Spitze handelte. Der feine Unterschied schien mir noch immer von einiger Bedeutung zu sein, da sich daraus doch entscheidende Rückschlüsse auf das Wesen dieser Frau ziehen ließen. Wenn es sich bei der Lanze um eine echte Waffe handelte, so musste die Frau wohl eine Kriegerin sein. Die smaradgen schimmernde Lanzenspitze verharrte kaum einen Zentimeter vor der Kehle der in weißlichem grau leuchtenden älteren Dame.
Die Darstellung des Traumes wirkte wiederum höchst real und bildete alles in fotografischer Genauigkeit ab, so dass ich nun endlich die Gelegenheit hatte, auch die Gestalt der Spaten-Frau eingehend zu studieren. Doch wie man bei einer Skulptur aus makellosem weißem Marmor oftmals Schwierigkeiten hat, im gleißenden Sonnenlicht die herausgearbeiteten Gesichtszüge richtig ausmachen zu können, erwies es sich in der Dunkelheit und bei dem schwachen grünen Licht meiner Traumszenerie als schwierig, die Konturen der Gesichtszüge dieser Frau zu erfassen und so einen wirklichen Eindruck ihres Aussehens zu erhalten.
Die angenehmen, ansprechenden Züge waren mehr zu erahnen als deutlich zu erkennen, doch war durchaus ersichtlich, dass es sich bei ihr nicht um eine dieser makellosen, ebenmäßigen Schönheiten handelte, sondern dass etwas Eigenwilliges aus diesen Zügen sprach, ja, sich eine wirkliche Persönlichkeit in diesem Antlitz abzeichnete. Wiederum fiel mir an ihren Augen etwas Merkwürdiges auf, konnte es jedoch noch immer nicht konkretisieren. Immerhin zeichnete sich die Kontur ihrer Gestalt deutlicher ab, die erkennen ließ, dass sie über eine sportliche und doch frauliche Statur verfügte. Von Schnitt und Material ihrer Kleidung vermittelte sich allerdings trotz dieser ungünstigen Lichtverhältnisse ein recht guter Eindruck, da zahlreiche leicht erhabene Bordüren und Stickereien das grünliche Licht reflektierten. Sie trug offenbar ein eng anliegendes Oberteil, welches mit exotisch anmutenden Stickereien besetzt war und dazu einen etwas weiteren Rock, bei dem es sich nach genauerer Betrachtung um ein weit geschnittenes Beinkleid zu handeln schien. Den fremdartigen Stil des Zuschnitts ihrer Tracht und der Applikationen ordnete ich dem süd- oder südostasiatischen Raum zu. Das knapp geschnittene Oberteil ließ ihre eleganten Schultern und Arme frei, ein Anblick voller Anmut! Als ich die Szenerie so betrachtete, förderte meine Erinnerung die Deutung von Frau A in mein Bewusstsein herauf:
„Die Geste zur Kehle bedeutet normalerweise, dass jemand zum Schweigen veranlasst werden soll.“

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