Und als ich zurück nach Hause ging, begann das Erlebte in mir zu wirken. Ich versuchte, mich darein zu finden, was mit mir geschehen war. Ich hatte den Eindruck, als hätte sich soeben ein seltsamer Schleier der diese Welt wohl eigentlich stets bedeckt hält, für einen Augenblick angehoben und mir einen kurzen Blick auf eine andere Wahrheit erlaubt, eine Wahrheit, die normalerweise nur sehr diffus und vage durch diesen Schleier hindurchzuschimmern vermag.
Ich konnte in jenen Augenblicken an jenem heiligen Ort erspüren, daß die Liebe das höchste aller Güter und das Göttliche die vollkommene reine, bedingungslose Liebe ist und ich fühlte, daß diese Art von Liebe in mir selbst verborgen gewesen war und ich weiß seit jenen Augenblicken, daß dies deshalb so war, weil diese Liebe in allen Menschen vorhanden ist, in jedem Einzelnen von uns. Eigentlich bräuchten wir alle nur einfach von dem loslassen, was uns hindert, diese bedingungslose Liebe, die da in uns allen ist, zu leben.

Was war das nun aus der heutigen Betrachtung heraus für ein Erlebnis? Es war vor allem eine Erfahrung. Ich habe die Macht der Gefühle, die Macht der Liebe erfahren und ich habe erfahren, was Selbsterkenntnis bedeuten kann, wie äußerst unangenehm Selbsterkenntnis sein kann. Und es war auch ein Akt des Loslassens. Und ich habe etwas über die Bedeutung des Todes gelernt.
Denn das alles waren Dinge, von denen ich bereits wußte, ich hatte zuvor über alles das was mir da passiert war stundenlang reden und philosophieren können, nichts von dem, was mir da an Lehren erwuchs war mir etwas wirklich neues. Aber es war etwas völlig anderes, dies am eigenen Leibe zu erleben, zu erfahren. Ich wußte zuvor genauestens, was die großen Religionen von der Macht der Liebe sagen, aber ich hatte sie nie zuvor auch selbst empfinden können, ich hatte immer versucht, mich selbst kritisch zu sehen, aber wie grausam Selbsterkenntnis sein kann, das mußte ich erst erfahren als ich den existentiellen Fragen nach Liebe und Tod von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Ich habe erfahren, wie verbissen und trickreich sich das Ego gegen wirkliche Selbsterkenntnis zu wehren versteht und ich glaube, daß es bei den meisten Menschen so ist, daß Selbsterkenntnis, die nicht unerträglich schmerzt und erschreckt, keine wahre Selbsterkenntnis ist. Sicherlich hat jeder schon einmal die Erfahrung gemacht, daß man aus den bitteren Konflikten des Alltags und des Lebens etwas über sich selbst erfährt und dies schmerzt, weil man erkennt, daß man sich in einem zu gefälligen Lichte gesehen hatte. So etwas tut weh. Aber dann stellt sich meist auch ein positives Gefühl ein, denn das Bewußtsein weiß, daß Selbsterkenntnis etwas wichtiges ist und wahre menschliche Größe ausmacht. Und so wird der Schmerz zum wohligen Weh und man fühlt seine eigene menschliche Größe und die Selbsterkenntnis geht so elegant und erhebend über das Herz. Wenn sich dieses Gefühl einstellt, dann sitzt man sehr wahrscheinlich einem Ränkespiel des eigenen Ego auf, das oberflächliche, gefällige Einsichten zur Selbsterkenntnis hochstilisiert und sich dadurch in Eitelkeit selbst überhöht. Wenn Menschen glauben, Selbsterkenntnis gewonnen zu haben und sich daraufhin wohl oder gar erhoben fühlen, so unterliegen sie – das glaube ich – wohl meist einem fatalen Irrtum. Alle ernsthafte Lehren, die ich kenne, sprechen vom Prozeß der Selbsterkenntnis als etwas Furchtbarem und Schrecklichem. Und ich weiß von niemandem, der sich nach wirklicher Selbsterkenntnis wohl oder erhaben gefühlt hätte. Als Ergebnis tiefer Selbsterkenntnis kann nur tief empfundene Demut stehen.

Der Tod hatte an diesem Punkt meines Lebens für mich tatsächlich keine Bedeutung gehabt, denn meinem Leben war der Sinn abhanden gekommen und ein Leben ohne Sinn ist nichts wert. Schrecklicher als der Tod ist ein Leben ohne Sinn und für mein Leben wurde damals die Liebe sinngebend. Wenn die Seele nach dem Sinn des Lebens strebt, dann gibt es plötzlich so vieles, was tatsächlich schrecklicher ist als der Tod. Und das wiederum heißt, der Tod tritt hinter diese anderen Werte zurück, er verliert ganz einfach an Bedeutung.

Ich habe in jenen Tagen eine Ahnung davon erhalten, was wahre Liebe ist. Ich habe tief in meiner Seele verspürt, welche unglaubliche Macht von ihr ausgeht und wie wichtig es ist, daß sie bedingungslos ist. Neben ihr verliert fast alles an Bedeutung. Aber ich glaube auch zu sehen, daß sie in dieser reinen Form für uns Menschen in dieser Welt nicht lebbar ist. Bettina war so eine Art Engel, die mich etwas davon fühlen ließ, ich spürte durch sie zum ersten mal in meinem Leben, wie sich wahre Liebe anfühlt. Bettina hatte die wunderbare Gabe, anderen Menschen ein Gefühl von wahrer Liebe zu vermitteln aber wohin hatte sie das in ihrem eigenen Leben geführt? Ihr selbst ging es dabei nicht gut. Und so glaube ich, daß es uns Menschen nicht möglich ist, diese wahre Liebe ständig und ganz praktisch zu leben, es läßt sich mit der menschlichen Existenz nicht vereinbaren, Mensch sein, heißt, von der wahren Liebe getrennt sein, weil das Leben auch den Kampf um die Existenz und die Selbstbehauptung erfordert. Das tierische Element in uns allen und auch unser notwendiger Selbsterhaltungstrieb mit dem ihm eigenen Aggressionspotential wird immer dem Bestreben, ein Leben in reiner Liebe zu führen, natürliche Grenzen setzen. Nur sollte uns das nicht davon abhalten, trotzdem danach zu streben und soviel Liebe zu leben wie eben machbar ist. Und ich habe auch erfahren, daß wenn man sich der Liebe öffnet, man einen Zugang dazu finden kann, den Hauch des Göttlichen zu spüren.
Aber so glaube ich denn auch, zu sehen, daß genau das, was uns von der reinen Liebe und von Gott trennt, uns als Menschen eigentlich ausmacht, denn es ist unsere personelle Individualität und das Leben überhaupt. Und in dem Augenblick, in dem wir wirklich bedingungslos lieben könnten, und es nichts mehr Materielles gäbe, was uns etwas bedeutet und uns bindet und ablenkt, dann wären wir sicher nicht mehr Menschen sondern gingen unverzüglich auf im Göttlichen. Ich glaube, Menschsein bedeutet unabdingbar Verhaftetsein im Materiellen, wenn man sich von allem, was uns am irdischen anhaftet lösen könnte, so wäre man nicht mehr Mensch. Das ist die Dualität, die der Schlüssel zu meinem persönlichen Verständnis unserer Existenz ist, welches ich aus dieser Geschichte gewonnen habe: daß wir alle göttliche Liebe sind, die in einen menschlichen Körper gebannt wurde. Und da es dem göttlichen Licht gefällt, uns so in diese Welt zu stellen, ist es glaube ich unsere Aufgabe, dieses materielle Leben praktisch zu leben und etwas daraus zu machen. Und das heißt sicherlich auch, in dieser unserer körperlichen Existenz so gut wir es vermögen nach der göttlichen Liebe zu streben.

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