Ich war sofort hellwach! Alles war so präsent, als hätte ich es gerade tatsächlich erlebt. Ich war so beeindruckt und mitgenommen, wie nach einer packenden Filmvorstellung in Cinemascope-Technik. Vor allem war ich davon fasziniert, wie real der Traum gewirkt hatte. Und ich spürte in mir immer noch die Nachwirkung des Cocktails aus dieser so ungewohnten Vielfalt an mir eigentlich fremden Emotionen, mit denen diese Frau mich erfüllt hatte. Doch diese legten sich ob der Sympathie, die ich zunächst für sie empfunden hatte und des Schreckens über die unerwartete Tat, in den sich diese unmittelbar darauf gewandet hatte, merkwürdig ambivalent auf mein Bewusstsein. Das Erlebte steckte mir so richtig in den Knochen.
Der Traum hatte mich derart mitgenommen, dass er mein Befinden noch fast den ganzen Tag über stark beeinflusste und seine Wirkung nur langsam an den unvermeidlichen Alltagsproblemen verebbte, die von alldem ungerührt meine Aufmerksamkeit einforderten, um schließlich die Oberhand zu gewinnen. Letzten Endes war es eben doch nur ein intensiver Traum, alles Standard-Psychologie aus dem Bildungsfernsehen, kein Problem. Einen Bezug zu meinem Leben konnte ich auch nicht darin finden, dafür war das Ganze dann doch zu abstrakt und zu abgedreht gewesen. Einige Effekte hatte mir mein Bewusstsein offensichtlich aus dem Repertoire gängiger Hollywood-Filme aufbereitet, also alles im normalen Bereich und ich maß dem Erlebten keine weitere Bedeutung zu. So verlor sich dieser Traum allmählich als nur ein weiterer der vielen belanglosen Flash-Effekte, die in unserer Welt heutzutage zum alltäglichen Schüttgut geworden sind.

Deutungsversuche

Frau A hatte uns mittlerweile vorgeschlagen, zu Einzelsitzungen überzugehen. Wir hatten eben beide unser Bündel an Problemen zu tragen und jeder von uns musste auch für sich selbst noch das eine oder andere aufarbeiten. So stand einige Tage später meine erste Einzelsitzung heran. Ich hatte mittlerweile vollstes Vertrauen zu Frau A gewonnen und sah diesem Gespräch recht gelassen entgegen. Zum Einstieg fragte sie mich recht beiläufig und wohl eher aus ihrer professionellen Routine heraus, ob ich denn etwas geträumt hätte. Ich hatte den merkwürdigen Traum eigentlich schon fast wieder vergessen, aber da Frau A nun so konkret nachfragte, kam er mir doch wieder in den Sinn, wobei ich zunächst überlegte, ob er denn überhaupt erwähnenswert sei:
„Der war ja ziemlich schräg … und vielleicht verrät er auch zuviel über mich … na ja, kann ich ja ‘mal erzählen, war ja ganz interessant … vor allem diese Frau … doch irgendwie faszinierend …“
Also erzählte ich die wesentlichen Szenen aus meinem Traum. Frau A zeigte sich – ganz entgegen meiner Erwartung – sehr interessiert und versuchte, die Symbolik des Traumes zu deuten. Sie stellte zunächst fest, dass der Dreck am Straßenrand normalerweise für den Dreck der Allgemeinheit stand. Weiter erregte der Begriff ‚Allende’ ihre Aufmerksamkeit. Wir kamen rasch überein, dass sich dieser Name wohl auf Isabel Allende bezog und es sicherlich eine gute Idee wäre, das Buch ‚Das Geisterhaus’ zu lesen. Aber vor allem interessierte sie sich natürlich für den Ausfall mit dem Spaten. Sie überraschte mich mit der Deutung, dass die Geste zur Kehle normalerweise bedeutet, dass jemand zum Schweigen veranlasst werden soll! Ich selbst wäre sicherlich nie auf diese Erklärung gekommen aber es klang absolut überzeugend. Ich war etwas erleichtert, dass meine sympathische Kämpferin nicht zwingend eine Mörderin sein musste. Frau A und ich rätselten noch etwas herum, welche Figur im Traum etwa meine Frau oder meine Mutter symbolisiert haben könnte und wer aus welchem Grunde nicht gewollt haben könnte, dass in diesem Traum eine bestimmte Angelegenheit zur Sprache kommen sollte. Aber wir fanden keine griffigen Anhaltspunkte für weitere Deutungen, die sich auf mein Leben oder auf meine derzeitige Situation hätten beziehen können. Allerdings gewann der Traum durch den Umstand, dass ich mich nun so intensiv mit ihm beschäftigt hatte, doch wieder an Bedeutung. Es wurde mir schon ein bisschen warm ums Herz, als ich darüber nachdachte, dass die Frau, für die ich ja durchaus eine gewisse Sympathie empfunden hatte, nun quasi vom Mordverdacht entlastet worden war.
Da ich mittlerweile vollstes Vertrauen zu Frau A hatte, war ich in diesem Gespräch mit ihr sehr locker und entspannt. Ich fühlte mich dadurch animiert, sie herauszufordern und sprach sie auf die spirituelle Ebene an, die sie da so ins Spiel gebracht habe. Es wurmte mich ein bisschen, dass sie mir einfach dieses Etikett angehängt hatte, denn es passte ja nicht zu dem Bild des aufgeklärten Denkers, das ich von mir selbst hatte. Sie erklärte jedoch gelassen und wie selbstverständlich, dass Sie zum Beispiel von der Tatsache, dass es so etwas wie Wiedergeburt gäbe sowie von der Existenz spiritueller Wesen vollkommen überzeugt sei. Bei dieser Gelegenheit entlockte sie mir auch noch im Handumdrehen, dass meine kürzlich verstorbene Mutter von diesen Dingen ebenfalls überzeugt gewesen war. Ich musste einräumen:
„Sie war sogar eine richtige Esoterikerin gewesen.“
Ich hatte das immer als überaus peinlich empfunden.
Dann kam die nächste Überraschung.

Sie sagte, sie sei sich ziemlich sicher, dass ich eine mediale Begabung hätte!

Unvermittelt fuhren in meinem Verstand zwei völlig unterschiedliche Weltanschauungen gegeneinander auf und begannen, die wildesten Kapriolen zu schlagen. Die eine Anschauung entsetzte sich:
„Oh, neiiin! Nicht dieser Esoterik-Quatsch von meiner Mutter!“
Doch gegen diese erhob sich in mir eine mahnende Stimme, die suchte, diesen ungestüm ausgebrochenen Unmut auf umsichtige Weise wieder zu beruhigen und mich an meinen eigenen Anspruch gemahnte, wo immer möglich Toleranz und Offenheit an den Tag zu legen:
„Hmmm, gerade wenn du die strengsten Maßstäbe anlegst, musst du ja einräumen, dass ihre Art der Ansprache tatsächlich eine Veränderung in dir bewirkt hat und das sogar nachweislich. Katja hat das ja praktisch bezeugt.“
Offenbar hatten sich in Folge der zwischenzeitlich doch recht zahlreichen Gespräche mit Frau A sowohl mein Befinden als auch mein Verhalten merklich verändert, es war also eindeutig eine Wirkung festzustellen. Eine Veränderung, die sich derart konkret äußerte, konnte ich nicht einfach ignorieren und wenn ich in meinen eigenen Auffassungen, auf die ich mir ja so viel zugute hielt, konsequent sein wollte, musste ich einem Phänomen, das ganz offensichtlich so real existierte, auch nachgehen. Also deutete ich Frau A einen Anflug von Aufgeschlossenheit gegenüber ihrer soeben geäußerten Feststellung an.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar.

  1. sehr gerne Meinungen und Kommentare zu diesem Beitrag

    Name und E-Mail sind für Kommentare NICHT erforderlich, obwohl es auf einigen Browsern anders angezeigt wird – ist wohl ein technisches Problem

Schreibe einen Kommentar

Menü schließen