Eine dämliche spiritistische Sitzung – wo bin ich hier bloß hineingeraten?

Wie selbstverständlich machte sie daraufhin den Vorschlag, ich solle doch einmal versuchen, meine verstorbene Mutter zu rufen. Mir flog unvermittelt das Blech weg und etwas in mir begehrte noch einmal heftig auf, aber ich blieb konsequent bei meinem soeben gefassten Entschluss, dem Phänomen der spirituellen Ebene auf den Grund gehen zu wollen und machte mich – natürlich bis zum Rand von Skepsis erfüllt – für das skurrile Experiment bereit.
Ich sollte mich entspannen, die Augen schließen und meine Mutter dreimal bei ihrem vollen Namen rufen. Diese Prozedur erschien mir so banal, dass ich mich innerlich kaputt lachte, nur um mich gleich darauf wieder über mich selbst zu ärgern, da ich mir ja vorgenommen hatte, dieser Sache gegenüber aufgeschlossen zu sein. Ich brachte meine Gefühle schließlich so weit unter Kontrolle, dass es mir möglich war, bei dieser Zeremonie so ernsthaft mitzumachen, wie es irgend ging. Ich nahm mir vor, ganz vorbehaltlos zu erwarten, was geschehen würde. Und natürlich geschah nichts! Ich erinnerte mich an den Spruch unseres Physiklehrers aus Schulzeiten, welchen er stets bei ganz bestimmten Experimenten erläuternd angefügt hatte:
„Was sehen Sie? Nichts! Warum sie nichts sehen, werden sie gleich sehen!“
Es fiel mir schwer, ernst zu bleiben.

Unter meinen geschlossenen Augenlidern brodelte nur ein diffuses Gewaber visueller Eindrücke. Aber das erklärte sich wahrscheinlich daraus, dass ich durch die unvorhergesehenen Ereignisse nun doch unter einem gewissen Stress stand und meine Gedanken sich mittlerweile überschlugen. Für das Gewaber war vermutlich nur mein Blutdruck verantwortlich, der infolge dieser Anspannung etwas in Wallung geraten war.
Frau A forderte mich zu den offenbar üblichen Floskeln und Artigkeiten des gesellschaftlichen Umgangs mit verstorbenen Menschen auf; so musste ich den Geist förmlich begrüßen und etwas esoterischen Smalltalk führen. Schließlich sollte ich meiner Mutter noch sagen, dass ich sie geliebt hätte. Und schon hatte ich ein ernstes Problem! Ich hatte durchaus an meiner Mutter gehangen, hatte sie als liebevolle Mutter empfunden aber mein Verhältnis zu ihr war auch nicht ganz unproblematisch gewesen. Zu oft hatte sie mich ziemlich genervt und sie hatte sich mir gegenüber so einiges geleistet, was ich ihr aus heutiger Sicht eigentlich nicht nachsehen konnte. Somit konnte ich nicht wirklich aus tiefster Überzeugung und völlig vorbehaltlos sagen, dass ich sie geliebt hätte. Wenn ich nun das aussprach, was Frau A soeben gefordert hatte, so wäre es nicht ehrlich! Und es fiel mir immer sehr schwer, unehrlich zu sein, so merkwürdig die Umstände auch sein mochten. Also befand ich mich in einer Zwickmühle. Ich musste versuchen, mich irgendwie durchzumogeln. Ich versuchte, mich auf einige Momente echter Zuneigung zu meiner Mutter zu besinnen – die es ja tatsächlich gegeben hatte –, stimmte mich auf die Gefühle ein, die ich aus einem dieser Augenblicke in Erinnerung behalten hatte, ein und nuschelte ein mehr oder weniger gezwungenes:
„Ich habe dich geliebt.“
durch die Zähne meines sich krampfhaft verschließenden Geistes und konnte dies unter den gedanklich von mir gesetzten Rahmenbedingungen auch tatsächlich ein bisschen empfinden. Ich hatte also nicht wirklich gelogen, fühlte mich aber auch nicht besonders gut bei dieser Liebeserklärung. Ich bekam von Frau A abschließend beigebracht, mich für das Erscheinen der Gerufenen artig zu bedanken und sie ausdrücklich zu entlassen.

Frau A war sehr zufrieden. Sie fragte mich, ob meine Mutter so der hausfrauliche Typ gewesen sei, etwas kleiner gewachsen, zurückhaltend, mit Blümchenkleidern, Schürze und dazu Dauerwelle. Und ob sie stets so angepasst war, dass sie nie zu ihrer eigenen Meinung zu stehen vermochte?
Wie bitte? Was war das denn? Das war tatsächlich die vage Beschreibung meiner Mutter! Was Frau A da aufgezählt hatte, stimmte alles! – Aber ich war ja nicht von gestern! So einfach ging das mit mir nicht, ich wusste sehr wohl, wie diese angeblichen Medien arbeiteten! Mir war natürlich klar, dass ich Frau A zuvor schon beiläufig die eine oder andere Information zu meiner Mutter gegeben hatte und eins und eins zusammengezählt ergab das natürlich etwas in der Richtung der Beschreibung, die Frau A soeben abgegeben hatte. Das konnte man sich mit ein bisschen gesundem Menschenverstand und psychologischem Einfühlungsvermögen alles zusammenreimen.
Allerdings war ich doch ziemlich beeindruckt von ihrer Treffsicherheit. Frau A hatte sich bei der Beschreibung meiner Mutter in einigen Details doch recht weit aus dem Fenster gelehnt und sie hätte damit auch völlig daneben liegen können, schließlich gab es in der Generation meiner Eltern ja auch hochgewachsene, aufdringliche Frauen, die weder Blümchenkleider noch Schürze trugen oder sich die wohl unvermeidliche Dauerwelle hatte machen lassen und zu ihrer Meinung standen. Ich dachte nach. In Bezug auf das äußere Erscheinungsbild meiner Mutter hatte ich mich Frau A gegenüber eigentlich nie konkret geäußert, dazu hatte sie von mir kaum Hinweise erhalten. Aus dem, was ich ihr erzählt hatte, war im Grunde nur hervorgegangen, dass sie eben dieser ‚hausfrauliche Typ’ gewesen war und der hätte immerhin auch dürr und groß gewachsen sein, zu seiner Meinung stehen, glatte Haare und andere Kleidung bevorzugt haben können. Sie hätte mit ihrer Beschreibung auch deutlich daneben liegen können. Wenn sie einfach durch gewagtes Spekulieren einen Versuchsballon hatte starten wollen, so war sie schon ein erhebliches Risiko eingegangen.

Dann eröffnete mir Frau A, dass meine Mutter im soeben stattgefundenen Gespräch gesagt habe, ich hätte die Fähigkeit, Botschaften aus anderen Dimensionen zu empfangen. Eigentlich hatte ich gedacht, mich würde an diesem Tag nichts mehr überraschen können und nun auch noch das! Aber nach dem, was mir in dieser Sitzung bereits alles widerfahren war, hatte ich für diesen Tag kein Blech mehr übrig behalten, das mir noch hätte wegfliegen können und kein Fass hatte noch eine Krone, die es ihm hätte ausschlagen können. So fiel es mir denn auch nicht mehr schwer, ganz gelassen zu bleiben, atmete tief durch, dachte nach und machte eine Bestandsaufnahme der Situation. Was sollte ich nun denken und tun? Ich war mir sehr sicher, dass ich mit Frau A eine wirklich seriöse und ernsthafte Frau vor mir hatte, die mit beiden Beinen im Leben stand und die über reichlich praktische Lebenserfahrung verfügte. Nein, Frau A war keine spinnerte Esoterik-Tante, ich hatte großes Vertrauen in sie und die Nummer mit meiner Mutter hatte mich doch leicht beeindruckt. Und weiterhin hatte ich ja bereits den festen Entschluss gefasst, ihren Vorschlägen gegenüber offen zu sein.
Ich hatte ja eingangs beschrieben, dass ich mich in meinem Leben stets bemüht hatte, eine ausgewogene Balance aus Skeptizismus und Aufgeschlossenheit zu halten und mein Gespür sagte mir, dass in dieser Situation meine Aufgeschlossenheit gefordert war. Weiterhin besann ich mich darauf, dass ich für mich ja nie völlig ausgeschlossen hatte, dass an der Metaphysik vielleicht doch etwas d’ran sein könnte … und so wurde mir klar, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, an dem ich dem hohen Anspruch an Offenheit, den ich schon immer an mich selbst gestellt hatte, auch gerecht werden musste.

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