In diesem Augenblick erinnerte ich mich auch wieder daran, dass mir ja schon in meinem ersten Traum etwas Merkwürdiges an ihrem Gesicht aufgefallen war. Ich konnte es nicht mit absoluter Sicherheit sagen, aber die Gesichtszüge der Lanzenkämpferin hatten offenbar einen leicht asiatischen Einschlag. Sie schien jedoch keine Ostasiatin zu sein, denn sie besaß nicht deren deutlich ausgeprägten Mandelaugen, es war eher eine leichte exotische Anmutung in einem an sich europäisch geprägten Gesicht. In Westasien oder Indien gab es Frauen, die in etwa so aussahen. Es waren aparte weibliche Züge und doch mit einer gewissen markanten Kontur, ein sehr schönes, anmutiges Gesicht, dessen Anblick mich tief berührte.
All diese Erkenntnisse und Beobachtungen waren so überwältigend, dass sie mich in diesen Tagen stark beschäftigten. Ich konnte nicht ganz ergründen, warum diese seltsame Symbiose zwischen mir und dieser Frau bestehen sollte. Warum war diese Frau in der spirituellen Welt ständig um mich? Kannte ich Sie auf irgendeine Weise?
Es kam mir jedenfalls so vor, als würde ich sie tatsächlich irgendwie kennen, wie aus einer fast schon gänzlich verblassten Erinnerung heraus, die man auch gar nicht mehr so richtig zuzuordnen vermag. Warum hielt sie spirituelle Einflüsse so energisch von mir fern? War sie auf ihren Streifzügen in den Anderwelten einfach irgendwann meiner dortigen Emanation begegnet und fühlte sich zu mir hingezogen, vielleicht weil ich ein Kämpfer war, wie sie ja auch? Oder war es eher so, dass sie eifersüchtig über mich wachte und hielt deshalb alles andere von mir fern?
Bei dieser letzten Vorstellung stieg ein leichtes Gefühl der Enttäuschung in mir auf, denn das wäre ja ziemlich selbstsüchtig und nach meinen Wertvorstellungen nun nicht so ganz edelmütig und vorbildlich von meiner Kämpferin, andererseits schmeichelte mir aber zugegebenermaßen diese Vorstellung. Oder ging sie gar so weit, dass sie mir die ganze spirituelle Welt eifersüchtig vorenthalten wollte, um mich ganz für sich allein zu besitzen? Wollte sie mich verblenden und mich für sich völlig vereinnahmen, so wie einst Circe den Odysseus? Durch die Abenteuer meiner Militärzeit hatte ich meine natürlichen Instinkte für Gefahren schärfen können, die jetzt heftig anschlugen und in mir ein gewisses Misstrauen erweckten, das von nun an immer etwas unangenehm im Hintergrund mitschwang. Doch mein Traumerlebnis hatte nicht nur Argwohn in mir erweckt, sondern überwiegend Gefühle einer angenehmeren Art freigesetzt. So empfand ich in Bezug auf die Lanzenkämpferin den Anklang eines Gefühls von Sicherheit und Vertrauen, das mir aus meinem bisherigen Leben eher ungewohnt war. Irgendwie spürte ich, dass mich eine Art Urvertrauen mit dieser Frau verband. Dies war ein wunderbares Gefühl und mir wurde darüber bewusst, dass mir mein Verstand, den ich durchaus für seine scharfen und glänzenden logischen Operationen schätzte, doch nie ein solch tröstliches Gefühl hatte vermitteln können, wie es mir aus diesem innigen Vertrauen erwuchs.
So jagten sich in diesen Tagen meine Gedanken und Gefühle in einem munteren, spielerischen Treiben gegenseitig umher und nahmen weitgehend meine Aufmerksamkeit in Beschlag. Vor allem spürte ich, wie sich in mir Emotionen wieder zu beleben begannen, die doch eigentlich schon vor langer Zeit in mir verblasst waren und die nun aus einem tiefen Schlummer langsam wieder zu erwachen schienen. Diese Kriegerin übte wahrlich eine magische Faszination auf mich aus.
An einem Aspekt fand mein seziererischer Verstand dann aber doch noch einen Ansatzpunkt, an dem er einen Dorn nüchternen Denkens in die bunte Blase meiner wunderbaren Fantasien treiben konnte: Meines Wissens nach gibt und gab es in der Welt Asiens keine Tradition von Kriegerinnen; dieser Punkt war in meinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen also nicht ganz stimmig.

Da sich mir die Bilderwelt meines Traumes so realistisch und detailgenau eröffnet hatte, blieb mir auch das erstarrte Bild dieser Frau sehr lebendig vor Augen, da es gleich einer meisterhaft gestalteten antiken Statue noch in seiner Erstarrung die unglaubliche Anmut ihrer Bewegung bewahrt hatte als wäre das Leben selbst plötzlich schockgeforen. Da ich dieses so vollendete Bild fast ständig vor meinem geistigen Auge hatte, erinnerte ich mich endlich doch noch an etwas Bestimmtes. Ich hatte tatsächlich schon Bilder und Filme von Tempeltänzerinnen gesehen, die mit magischen Gerätschaften oder Stöcken, in meiner vagen Erinnerung eventuell sogar mit rituellen Lanzen, gekonnt einstudierte Bewegungen ausführten, die große Ähnlichkeit mit denjenigen hatten, die auch Krieger beherrschen mussten. Handelte es sich bei dieser Frau vielleicht doch eher um eine Tempeltänzerin oder Priesterin? Gegen spirituelle Wesen wäre ein ritueller Gegenstand wie eine magische Lanze ja wohl eher effektiv als eine weltliche Kriegswaffe.
Dieser Erklärungsansatz brachte mich wohl langsam auf die richtige Spur.

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